„Sich ständig der Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst zu sein, ist natürlich anstrengend. „

Was halten Sie von dem Sprichwort: Der Mensch denkt, Gott lenkt?

Martin Luther: Das reimt sich ganz hübsch, mehr nicht. Der Mensch handelt verbunden oder nicht verbunden mit Gott. In jedem Fall hat er selbst die Konsequenzen seines Handelns zu tragen. Er kann sie NICHT an eine höhere oder niedrigere Instanz abgeben. Sich ständig der Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst zu sein, ist natürlich anstrengend. Das Konzept eines Gottes, der alles lenkt, ist dagegen sehr bequem.

((aus Apocaluther))

Luther: Ich habe mir die Welt von der anderen Seite aus fast 500 Jahre lang angesehen. Viele Kriege fanden statt, einer schlimmer als der andere. Ganze Völker wurden fast vernichtet. Ich will das nicht alles aufzählen, was zu sehen war. All diese Diktatoren, Menschenverachter, Familientyrannen! Doch als wäre  das noch nicht genug gewesen, haben die Menschen weiter Angst vor einer Apocalypse. Die einen fühlen sich hilflos, während die anderen weiter Unheil stiften. Viele denken weiterhin, Jesus Christus würde im Jüngsten Gericht sein Urteil sprechen. (er wird laut) NEIN,WIRD ER NICHT!! Das ist nicht seine Aufgabe! Jesus Christus hat seine Aufgabe bereits erfüllt und den Menschen stünde es gut an, das endlich zu verstehen! (noch lauter und deutlicher) Jesus Christus ist Erlöser und Befreier der Menschen!!

Vater: (unsicher, nachdenklich, erkennend) Sie meinen womöglich, das, was in der Apocalypse steht, hat alles bereits stattgefunden?

Chorkind: Ja, logisch! Was soll denn noch passieren, bevor die Menschen erkennen, dass Gott nie fort war? Dass seine Liebe immer da ist, genug für alle?

((weiter im Interview))

Klingt geläutert, was Sie da sagen.

ML: Ich habe gesehen, was geschehen ist nach meiner Zeit. So vieles habe ich erst mit den Jahren verstanden. Es gibt Kulturen, die stets sieben Generationen zurück und voraus denken. Und dabei im Hier und Jetzt bewusst ihr Leben verbringen. Die denken nicht in Machtzyklen, Legislaturperioden oder daran, wie sie ihr Gefühl des Verlassenseins betäuben können, das nagende Gefühl der Getrenntheit. Dieses große Menschheitsthema produziert all das Leid. Keiner will verlassen sein. Darum gönnt keiner dem anderen Geborgenheit, in was auch immer.

Mit dem Paradies verlor der Mensch seine Geborgenheit. Seither sucht er sie zurück. Das ist so schwer, dass er sie niemandem gönnt, der auch nur ein wenig davon sein Eigen nennt. Er nimmt den anderen dies Wenige mit Krieg, Gewalt, Technokratie. Damit das Leid erhalten bleibt, das er für normal hält. Die Großen nehmen es den Kleinen, die Starken den Schwachen, behaupten dabei seit Jahrtausenden, es wäre zu ihrem Besten. Weil sie es selbst nicht anders kennen. So lebt der Mensch darin und sucht doch mit abgrundtiefer Sehnsucht nach dem, was er in sich ahnt und das Wesentliche nennt: Geborgenheit. Archaisch. Warm, weich. Verletzbar, zerstört. Gehabt, verloren. – So lautet der Text zu meinen Objekten und Bildern, die ich vor allem zu den Themen Holocaust und transgenerationale Weitergabe von Traumata gemacht habe. Ich tu mich da schwer mit Ihnen, Luther. Darum war ich so erstaunt, als ich bei der Recherche für das Stück, das ich zur Apocalypse und bedingungsloser Liebe schreiben wollte, plötzlich merkte, dass Sie die ideale Person sind, um beides zusammenzubringen. Weil sie mit der Apocalypse nicht viel anfangen konnten. Und weil Sie die Rückverbundenheit der Menschen mit Gott erkannten, vor allem die persönliche Mensch-Gott-Beziehung, völlig unabhägnig von Institutionen. Rief ich jedoch bei Zeitungen an, um Apocaluther zu bewerben, hieß es mehr als einmal: Luther? Der war gegen die Juden. Über den schreibt man nicht. Was sagen Sie dazu?

ML: Meine Hetzschriften sind ein heikles Thema.

Aber Sie wissen auch, dass eine große Menge an Erklärung, warum es den Antisemitismus gibt, in dem steckt, was ich da eben aus meinem Text zu meiner Kunst zitiert habe.

ML: Ja. Und ich weiß auch, dass meine Juden-Hetz-Schriften mit dem, was ich über die bedingungslose Liebe gesagt habe, nicht zusammenpassen. Soll ich mich rausreden mit dem Hinweis „ich war ein Kind meiner Zeit“?

Das habe ich den Zeitungsredaktionen gegenüber getan. Interessant war, dass kritische Redakteure einlenkten, sobald ich das Reizwortpaar „Apocalypse und Luther“ fallen ließ. Apocalypse und Luther, das fanden sie sofort interessant. Der Inhalt des Stücks war erstmal egal.

ML: Vielleicht erklären Sie mir, wie Sie das sehen mit mir und meinen Hetzschriften?

Nein. Das tun bitte Sie selbst. Auf Basis der Erkenntnis, dass das Leid der Menschheit auf dem Gefühl der Getrenntheit von Gott – oder wie immer man diese Macht auch nennen will – basiert. Und dass der Mensch in Wirklichkeit ungetrennt ist von Gott. Er kann sich ihm verbunden wissen. Immer.

ML: Das jüdische Volk ist das von Gott auserwählte Volk. Es hat die ewige Zusage tiefster Geborgenheit, die über Jahrtausende getragen hat und weiter trägt. Das neiden andere Menschen diesem Volk. Das neiden Menschen, die sich von Gott getrennt und darum bis in den tiefsten Herzensgrund verlassen fühlen. Dieses Gefühl der Getrenntheit ist in ihrem Unterbewusstsein verborgen. Es ist das, was ich das Gekrümmte nenne. Dieses Gefühl ist unantastbar. Das soll niemand kennen, niemand erkennen. Darum tragen diese Menschen Masken. Manche mehr, manche weniger. In Apocaluther sage ich: „Je mehr Liebe ihnen fehlt, wenn sie klein sind, desto grausamer ODER desto duldsamer werden sie, wenn sie älter werden. Eure Psychologen haben das schon erkannt. Das zu heilen, wenn die Menschen groß sind, ist fast unmöglich.“ Ich war und bin auch in mir gekrümmt. Dieses Gefühl bringt nicht zwangsläufig Antisemitismus hervor. Aber es bereitet den Boden, auf dem Hass aller Art gedeiht.

Die Menschen sind jedoch alle mit Gott verbunden – wenn sie dies wollen. Gott ist bedingungslose Liebe. Alle Menschen sind bedingungslos geliebte Kinder Gottes. Das sind zwei Ihrer neuen Thesen aus Apocaluther.

ML: Und mein Schlusswort in dem Stück lautet: „DAS da, dieses absolute, radikale Getragensein ist immer und ewig einfach da.“ Darum muss niemand anderen Menschen ihre Geborgenheit neiden. In dieser Gewissheit zu leben bedeutet, dass die Hütte Gottes bei den Menschen Realität ist. Bedingungslose Liebe und die Balance des „ich liebe meinen Nächsten wie mich selbst“ machen Unfrieden, Hass, Neid unmöglich.

((aus Apocaluther))

Theodizee: (nimmt eine Bibel aus dem Regal, schlägt sie auf, liest feierlich aus der Offenbarung vor) Aus dem letzten Kapitel der Apocalypse: „Siehe da, die  Hütte Gottes bei den Menschen! und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“

((weiter im Interview))

„Gott macht den Frieden nicht. Gott IST Frieden. Die MENSCHEN müssen sich wieder mit Gott verbunden wissen und fühlen und danach handeln. Dann IST Frieden!“ Das habe ich Ihnen in Apocaluther in den Mund geschrieben.

ML: Und dann erzähle ich, dass ich beim Blick auf die Erde erst gedacht habe, es gäbe auf der Welt eigentlich keine Grenzen. Und dass ich dann gesehen habe, dass es doch welche gibt. Grenzen zwischen Land und Wasser. Zwischen Wolken und Luft. Zwischen Fluss und Ufer. Diese Grenzen sind ganz klar. Darum sind Wasser und Ufer auch einfach           nebeneinander. Ein Chorkind sagt dann, dass das so ist, wie eigentlich mit Gott und den Menschen sein sollte.

Da fehlt aber noch etwas. Nämlich, dass es so auch zwischen den Menschen sein sollte. Jeder begegnet dem anderen friedlich, nah, klar und bedingungslos liebend. So ist das gemeint. Unfrieden funktioniert so nicht mehr.

ML: Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg.

Der Weg wird mit jedem Schritt kürzer, den man ihn geht. Und die Verbundenheit mit Gott, mit dem All-Eins zu leben, dazu braucht es mehr Bewusstsein fürs Dahinter der Dinge, mehr Spiritualität. Die wiederum ist eine ganz persönliche Angelegenheit, die lässt sich nicht institutionalisieren.

ML: Ja. Etwas glauben, das ist etwas, was die Leute tun oder nicht tun können. Spiritualität ist etwas, das man selbst erlebt.

Ein Chorkind sagt in Apocaluther: „Außerdem gibt es noch die Engel, Gottes Boten. Die können auch was machen!“

ML: Dass Erwachsene ihren Engel wieder bewusst wahrnehmen, der sie begleitet. Das wäre eine schöne spirituelle Erfahrung für diese Menschen.

Danke für heute. Ich setze jetzt hier noch das Lied hinein, das die Kinder an dieser Stelle in Apocaluther singen.

Ich bin vielleicht noch klein
doch bald schon bin ich groß
dann sitzen meine Kinder
bei mir auf meinem Schoß.

Was ich heut von euch lerne,
das ist dann in mir drin.
Darum ist gut, wenn klar ist,
wie liebenswert ich bin.

Du bist vielleicht schon groß,
doch warst du auch mal klein
und hast bestimmt mal Angst gehabt
und fühltest dich allein.

Da kam ein großer Engel,
hielt dich in seinem Arm.
Bis es dir wieder besser ging,
hielt er dich lieb und warm.

Der Engel ist noch immer
bei dir, bei Tag und Nacht.
Er singt dir von der Liebe vor,
die alles heile macht.