Zum Reformationsjubiläum gibt es Kerzen mit Ihrem Bild. Was halten Sie davon?
Martin Luther: Devotionalien. Heiligenkult. Man hat mich zum Helden gemacht. Zu einem „deutschen Helden“. Das sagt viel mehr über die Menschen aus, die das tun, als über mich. Ich war und bin weder Held noch Heiliger. Meine Person scheint wichtiger zu sein als meine Botschaft. Schade, dass das hierzulande immer noch so ist.
Warum steht eigentlich Ihre Person so sehr im Mittelpunkt der Feierlichkeiten – und nicht Ihre Botschaft?
ML: Vermutlich, weil die lutherische Kirche keinen Papst hat. Menschen sind so. Noch. Sie brauchen „einen großen Mann“ oder „eine große Frau“. Zum Anhimmeln. Im wahrsten Sinne. Weil der Himmel ja anscheinend leer ist. Die Menschen empfinden Gott (noch) als getrennt von ihnen. Wenn sich das erstmal geändert hat, brauchen die Menschen keine „übergroßen Führungsgestalten“ mehr.
Wer ist dann auf den Kerzen?
ML: Vielleicht Sterne. Wolken. Himmel. Ein Herz.
Die Kirche hat viel Leid über die Menschheit gebracht. Was sagen Sie heute dazu?
ML: Ja, das hat sie. Andere zu etwas zu zwingen, ist nicht gottgewollt und hat nichts mit Liebe zu tun. Wobei … den Begriff gottgewollt muss ich mir dringend abgewöhnen … Denn MENSCHEN machen das, was geschieht. Sie können ihre Verantwortung nicht delegieren.
Als die Bauern sich damals wehren wollten, haben Sie gesagt, die Landsknechte sollen hauen und stechen. Was sagen Sie rückblickend dazu?
ML: Rückblickend gesehen war es nicht kompatibel mit meinen Erkenntnissen. Doch was geschehen ist, kann niemand verändern. Jeder kann nur an dem etwas verändern, was heute und damit in Zukunft passiert. Das sagt auch der Engel in Apocaluther. Wo heute noch Macht und Ohnmacht aufeinander treffen, könnten die Mächtigen etwas von ihrer Macht an die Ohnmächtigen abgeben. Die andere Seite könnte diesen Teil annehmen. So übernähmen beide eine gewisse Menge an Verantwortung. Es entstünde Balance.
Eine Leserin hat gefragt, ob der Inhalt dieses Blogs aus Ihren Schriften stammt oder „ausgedacht“ ist. Was sagen Sie dazu?
ML: (lacht) Die Leute sollen ihren Kopf und ihr Herz einschalten! Vor allem ihr Herz. Wussten Sie, dass vom Herz aus viel mehr Nervenimpulse ans Gehirn gehen als umgekehrt? Find ich interessant. Aber um die Frage zu beantworten: Apocaluther und apocaluther.de basieren auf meinen Schriften. Ja.
Was ist für Sie der schönste Moment in Apocaluther?
ML: Hm … also, das Anklopfen ans Fenster, das hat schon was … oder wenn die Kinder alle reinkommen … nein, diese Szene, wo ich mit dem Engelsbettzeug zugedeckt werde … halt, nein … als die Kinder vors Hohe Tribunal gerannt kommen und Maske I zwar rumbrüllt „Raus mit den Kindern“, sich aber dann doch ein kleines, ganz natürliches Lächeln nicht verkneifen kann. Da sieht man bereits den Menschen hinter der Maske. Das gefällt mir.
„Kinder sehen sowieso immer, was mit den großen Leuten los ist“, sagt ein Kind.
ML: Viele Kinder können in die Menschen hineinsehen. Das ist eine Herausforderung für ein Kind. Die großen Leute könnten langsam mal anfangen zu begreifen, dass das Verhalten der Kinder sehr viel mehr mit ihnen – den Großen – zu tun hat. Und nicht mit den Kindern. Ein Kind ist nämlich noch nicht so sehr ein in sich verdrehter Mensch, ein homo incurvatus in se, wie ein Erwachsener. Dazu steht was im Artikel vom 2. Oktober.
12. Oktober 2016