5 Thesen vergessen

(Theodizee öffnet das Fenster, ein Mann steigt etwas umständlich, aber nicht ungelenk durchs Fenster, mit Barett, längerer Jacke – ganz klar: Luther!)

Luther: (stellt sich auf, breitet die Arme aus und spricht in Richtung Publikum und Zwillingen) Bittet, rufet, schreiet, suchet, klopfet, poltert! Und das muss man für und für treiben ohne Aufhören. Gott zu Gruße, meine Kinder. Vielen Dank, ich denke, hier bin ich richtig.

Theodor: Was wollen SIE denn hier?!

Luther: (gibt beiden nacheinander die Hand und stellt sich vor) Gestatten, mein Name ist Martin Luther, geboren am 10. November 1483 in Eisleben, dort gestorben am 18. Februar 1546, dazwischen viel erlebt. Magister der freien Künste und der heiligen Theologie sowie ordentlicher Professor.

Theodor:  Aha! Und eben wieder auferstanden von den Toten oder wie?

Theodizee:  Voll krass!

Luther: Nun … auferstanden würde ich das nicht gerade nennen. Ich sage mal … hm …  nein, ich sage dazu besser nichts, ich bin einfach da. Können wir uns darauf einigen?

Theodor: Ja, klar!

Theodizee: Logisch! Und was wollen Sie bei uns?

Luther: Ich will mit euch sprechen. Ich hab euch längere Zeit zugehört und finde, dass ihr sehr kluge Ansichten habt. Außerdem habt ihr solche, wie nennt ihr die, diese kleinen Dinger da … (zeigt auf die Handies auf den Betten)

Theodor:  Die Handies? Was wissen Sie denn von Handies??

Luther: Ich weiß, dass man damit Nachrichten in alle Welt schicken kann. Das gefällt mir, darum bin ich hier.

Theodizee: Sagen Sie bloß, Sie wollen noch mehr Thesen verbreiten!

Luther: Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt.5 Erraten, meine Liebe, ich hab damals nämlich fünf Thesen vergessen.

Theodor: Vergessen??!

Luther: Ja! Oder sagen wir so: Vielleicht hab ich mich damals noch nicht so ganz getraut, die fehlenden fünf auch noch zu schreiben.

Theodizee: Naja, also Sie und nicht getraut … da muss ich mal lachen. Haha.

Luther:  Hm, also, vielleicht wären diese Thesen einfach zu viel gewesen und man hätte mich damals doch noch zur Strafe getötet. Aber jetzt ist die Zeit reif. Übrigens, wer die 95 anderen Thesen liest und versucht zu verstehen, was ich überhaupt so mit allem gemeint habe, was ich gedacht und geschrieben habe, der könnte sowieso merken, dass bei den Thesen noch was fehlt.

Theodor: Es war ja auch sehr gefährlich damals, sich mit den Mächtigen der Kirche und den Mächtigen der Welt anzulegen.

Luther: Aber ich war Doktor der Theologie. Ich hatte das Recht, ein Lehrer der     christlichen Religion zu sein. Nur … was ich herausgefunden hatte, weil ich in die Worte der Bibel (spricht sehr deutlich, mache mit den Fingern passende Bewegungen) hin-ein-ge-kro-chen bin – das war ganz neu damals.

(Der Vater steht vor der Tür und lauscht, winkt seine Frau heran.)
Vater: (leise) Hör mal zu. Da ist jemand Fremdes bei denen im Zimmer.
(Die Mutter kommt, beide lauschen an der Tür.)

Theodizee: Sie haben herausgefunden: Jesus Christus ist der Erlöser und Befreier der Menschen von ihrer Getrenntheit zu Gott. Stimmt’s?

Luther: Richtig! (setzt sich noch bequemer hin)  Gott und Mensch gehören einfach   zusammen. (legt die Handflächen aneinander) Gott bewegt sich nicht, er ist einfach da. Die Liebe pur. Ohne Bedingungen. Die Menschen haben sich aber gesagt, wir probieren es mal ohne Gott. (nimmt die eine Hand zwanzig Zentimeter von der anderen weg) Da merkten die Menschen, dass sie auch so halbwegs gut leben konnten. Naja, gut … Mord und Tod und Leid inklusive. Denn seither fehlt ihnen etwas. Ihnen fehlen die Erfahrung und das Wissen,  einfach so bedingungslos geliebt zu sein. Das haben sich dann manche mächtigen Menschen zunutze gemacht. Sie haben behauptet, man müsse sich so verhalten, wie die Mächtigen der Welt das wollen. Dann wäre alles gut. Wenn nicht, würde man in die Hölle kommen, wo noch weniger Liebe ist.

(er schließt die weggezogene Hand zur Faust und nimmt sie herunter, die andere Hand, die Gott darstellt, hält er unverändert an einer Stelle; dann nimmt er auch diese herunter)

(Der Vater klopft an, drückt die Klinke, geht mit Mutter ins Zimmer.)

Vater: (betont fröhlich) Was ist denn hier los? (bleibt abrupt stehen) Ach du liebes     bisschen! (fasst sich an den Kopf, zeigt auf Luther, guckt auf seine Frau, guckt auf Luther)

Theodizee: Mama, Papa, ihr stört.

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